Abends wirkten Schülerinnen und Schüler des Erasmus-Widmann-Gymnasiums und des Gymnasiums bei St. Michael bei der zentralen Gedenkfeier auf dem Schwäbisch Haller Marktplatz mit. Doch die zwölf Installationen konnte man schon am Nachmittag bestaunen: Lebensgroße Reproduktionen von Personen jüdischen Glaubens, die durch die nationalsozialistische Schreckensherrschaft verfolgt und vielfach ermordet wurden.
Sybille Hellmer und Melanie Hölzel hatten die Idee, an den Installationen ein „Barcamp“ zu veranstalten: offene Workshops, deren Inhalte und Ablauf von den Teilnehmenden selbst festgelegt werden. An jeder Installation fanden also performative Darbietungen oder Vorträge mit anschließender Diskussion und Interaktion mit dem Publikum statt. In der Auseinandersetzung mit der Reichspogromnacht fanden Schülerinnen und Schüler eine breite Palette an Themen, die sie interessierten und die sie beleuchten wollten. So wurden beispielsweise Kinderschicksale und die Schicksale jüdischer Haller Familien thematisiert, aber auch die Rolle des Haller Tagblatts oder der Feuerwehr während der Pogromnacht – und nicht zuletzt die Bedeutung des 9. November im Kontext der Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens im Nationalsozialismus.
Marietta Buchwald beschäftigte sich mit dem Schicksal der jüdischen Schriftstellerin Mascha Kaléko, um die Themen Exil und Heimatverlust exemplarisch zu erfassen. Schülerinnen des GSM wiederum befassten sich mit dem Dilemma regimekritischer Schriftsteller*innen: Gehen oder bleiben? Auch die „Sprache des Bösen“, nationalsozialistische Rhetorik im Dritten Reich und in der Gegenwart, fand sich in zwei Vorträgen im Barcamp wieder. Naturwissenschaftliche Aspekte spielten in mehreren Vorträgen ebenfalls eine Rolle. Judith Benzing zeigte auf, wie Zyklon B vom Schädlingsbekämpfungsmittel zum Mordwerkzeug mutierte. Til Kobald, Tobias Hihn und Leon Stünkel beleuchteten die Situation jüdischer Wissenschaftler und Nobelpreisträger wie Richard Willstätter oder Albert Einstein.
Der Literatur- und Theaterkurs unter der Leitung von Frau Mühlen beschäftigte sich mit dem spannenden Lebenslauf von Margarete Gutöhrlein. In einer eindrucksvollen Inszenierung zeigten sie Stationen ihres Lebens: die schicksalhafte Heirat mit Georg Gutöhrlein, der die heutige Wildbadquelle 1926 erwarb und sie nach Schwäbisch Hall führte, das verweigerte Auswanderungsgesuch als „Volljüdin“ –- bis zur Gründung des Albert-Schweizer Kinderdorfes in Waldenburg.
Margarethe Gutöhrlein war eine der zwölf Personen, die auf dem Marktplatz porträtiert wurden. Das Profilfach Kunst Klasse 9 hat die sehr lesenswerten Begleitinformationen zur Installation verfasst: Begleittexte
Jochen Schmidt