Zusammen mit Oberbürgermeister Daniel Bullinger gestalteten Schülerinnen und Schüler des Erasmus-WIdmann-Gymnasiums die zentrale Gedenkfeier der Stadt Schwäbisch Hall auf dem Waldfriedhof mit. Musikalisch wurde die Feier von Mitgliedern des Stadtorchesters mitgestaltet. Alle beteiligten Schülerinnen und Schüler empfanden ihr Mitwirken als lohnend und wünschten sich mehr junge Menschen, die sich für diese Gedenkfeier interessieren.
Wir präsentieren hier die Texte. Mit Ausnahme des Totengedenkens, das aus der Broschüre des Volksbundes deutscher Kiregsgräberfürsorge stammt, sind alle Texte von Schülerinnen verfasst.
Jochen Schmidt und Matthias Imkampe
BEITRÄGE SCHÜLER:INNEN und Lehrer des Erasmus-Widmann-Gymnasiums
1) Einleitung
Der Volkstrauertag hat zwei zentrale Anliegen. Das erste ist es, den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft zu gedenken. Das zweite Anliegen ist es, die kollektive Erinnerung an Krieg, Tyrannei und Unmenschlichkeit wachzuhalten, damit wir als Gesellschaft wachsam bleiben; damit sich Geschichte nicht wiederholen muss.
Um dies zu erreichen, muss der Staffelstab des Erinnerns immer wieder an eine neue Generation weitergereicht werden.
Schülerinnen und Schüler des Erasmus-Widmann-Gymnasiums haben sich deshalb auch dieses Jahr mit dem Volkstrauertag auseinandergesetzt. Entstanden sind unterschiedliche Gedichte und Texte, die sich mit den Anliegen dieses Gedenktags beschäftigen.
Vorgetragen werden sie von Leonie Luckner, Bianca Blum, Hanna Strasser, Lara Neben, Jan Greiner und Religionslehrer Matthias Imkampe
2) Gedicht Sterben
Folge man dem kalten Wesen, wie ein Schatten sich bewegend, ruft es jeden einst zu sich.
Der Faden sei schon durchtrennt und Wehr hätte keine Konsequenz.
Im Schatten solle man verschwinden, aus der Sonnen hellen Licht.
Schweigend für die Ewigkeit, solle man geschworen haben, sich auf Rache zu berufen, sodass jeder Sündiger die kalten Hände des Todes auf seinen Wangen spüre.
Erinnerungen verschwimmen im Leid, geformt aus Schweiß und Blut. Dringet leise in die Seele, der erleichternde Tod.
Jeden Tag umgibt er uns im grauen Tage einerlei.
Alles endet in dem Wahne, der Verzweiflung gleichgestellt.
3) Totengedenken
Wir denken
heute an die Opfer von Gewalt und Krieg,
an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.
Wir gedenken
der Soldaten, die in den Weltkriegen gestorben sind,
der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in
Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren haben.
Wir gedenken derer,
die verfolgt und getötet wurden,
weil sie einem anderen Volk angehörten,
ideologisch verbrämt einer „Rasse“ zugerechnet worden sind,
Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
Wir gedenken derer,
die ums Leben gekommen sind,
weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,
und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung
oder an ihrem Glauben festhielten.
Wir trauern
um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege
unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und
politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten
und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.
Wir gedenken heute derer,
die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind.
um Opfer von Terrorismus und Extremismus,
Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.
Wir trauern mit allen,
die Leid tragen um die Toten
und teilen ihren Schmerz.
Unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen
und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen
hier bei uns zu Hause und in der ganzen Welt.
Quelle: Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge, Heft für den Volkstrauertag 2021
4) Gedicht – Der graue Himmel
Der Himmel so grau und traurig.
Die Last auf meinen Schultern erdrückend schwer.
Die einzelnen Tropfen einsam in mitten von vielen, gehen sie unter und verschwinden für immer.
Es ist nicht kalt, doch ich erfriere.
Erstickt das Feuer, das mir die Kraft zum Leben gab.
Wie Sand rieselt mein Ich aus meinen Händen.
Verzweifelt klammere ich die Scherben meiner Existenz, an denen ich mich so oft schneide.
Gesichter, Farben und Erinnerungen verschwimmen im grau.
5) Text zum Thema 80 Jahre Beginn der Deportation der Berliner Juden
80 Jahre … in 80 Jahren kann viel passieren. Von den ersten kleineren technischen Geräten über die erste Rakete zum Mond und mittlerweile kleine unscheinbare Mobilgeräte, welche die gesamte Technologie der ersten Rakete zum Mond, und noch mehr innehaben und unseren Alltag erleichtern. Aber darum geht es nicht. Es geht heute um 80 Jahre Deportation. Vor 80 Jahren begann die Deportation der Russlanddeutschen. Wir gedenken heute derer, die dabei ums Leben kamen. Wir gedenken den Familienmitgliedern und Angehörigen, aber nicht nur ihnen, sondern aller, die im Krieg oder im Zusammenhang damit oder Gewalt umkamen oder einen geliebten Menschen verloren haben. Es wurden damals mehr als 1,2 Millionen Russland- bzw. Wolgadeutsche deportiert – die genauen Zahlen wurden nicht ermittelt – sie starben an Erschöpfung, Krankheiten und/oder Hunger. Die Mehrheit unter ihnen war christlich.
Es war aber nicht nur der Beginn der Deportation der Wolgadeutschen, sondern auch die der Juden und Jüdinnen, die vor 80 Jahren, am 18. Oktober 1941 angefangen hat.
Juden wurden verschleppt und in Arbeitslager gesteckt, um sich dort zu Tode zu arbeiten und letzten Endes an Krankheiten, Hunger starben oder – sofern sie der SS nicht arbeitsfähig erschienen, sofort in die Gaskammern geschickt wurden, die als Dusche getarnt war. Sie starben, ohne es zu wissen und ohne einen Grund. Sie wurden ermordet und genau das ist ein Verbrechen. Deshalb denken wir an 6 Millionen Menschen jüdischen Glaubens. Die Vergangenheit hinterlässt ihre Spuren, aber wir können sie nicht ändern. Wir können es nur in Zukunft besser machen.
6) Gedicht – Friedhof
Nebelschwaden leise schleichend, leichte graue Netze legend.
Schwarzer Stein in Kreuzes-Form, grüßt bedauernd Tote.
Tränen perlen die Wangen nieder, kühl in leichter Brise.
Morsches Holz in Bänk‘ geschnitten, knarrt abwechselnd verteilt.
Eulenrufe hallen lange, in der tiefen Stille.
Einsam und doch umgeben, von Gedanken längst Verflossener.
Feucht die braune Erde, grün des Lebens Beweis. Schnell das Ungetier, das zehret von dem Fleische.
Stiller Ort in Ruh‘ und Frieden, ungeachtet meist.
Früher sanfter Sonnenstrahl, freudig durch die Kronen winkend.
Mal grüneres Gewand, mal starres Korsett, wie überall verändert.
Nur die grauen Steine bleiben gestern, morgen, lange gleich.
7) Die Bedeutung des Erinnerns für neue Generationen
Meine Generation hat, wie man einfach zugeben muss, keine persönlichen Berührungspunkte mit den vergangenen Ereignissen, derer wir heute gedenken, und es scheint, dass die folgenden Generationen sich immer weiter von diesen entfernen werden. Für mich und meine Freunde ist es bereits die Vergangenheit, für unsere Kinder wird es schon die Vorvergangenheit sein und für deren Kinder vielleicht nur noch ein Mythos. So haben wir die Herausforderung und Aufgabe, unser eigenes Verhältnis zu der Geschichte aufzubauen. Daher wird die Frage, wie wir die Vergangenheit im Gedächtnis der Gegenwart behalten, meiner Meinung nach auch immer wichtiger.
Mit dem Wechsel von Generationen, wird einem erst bewusst, dass die Geschichtsschreibung nicht abgeschlossen ist und weiterentwickelt werden muss. Da meine Generation in einem ganz anderen Kontext und Umfeld aufgewachsen ist, stellt sie nun einmal ganz andere Fragen an die Vergangenheit. Dementsprechend reden wir auch vielleicht ganz anders über den Zweiten Weltkrieg als Menschen, deren Familienmitglieder noch in den Krieg ziehen mussten.
Wir sehen: Jede Generation muss sich historische Themen neu vergegenwärtigen.
Was heißt das aber? Sollen wir in die Bibliothek gehen und ein paar Bücher wälzen? Nein, denn das, was der Historiker in seinem Archiv katalogisiert, ist für uns alle nicht zwangsläufig die „wahre“ Geschichte. Natürlich sind bestimmte Ereignisse einfach Fakten, geprüft und belegt, aber das sagt nichts darüber aus, was diese für uns eigentlich bedeuten und inwiefern, wir sie in Erinnerung behalten.
Anstatt uns gänzlich auf historische Schriftstücke zu stützen, müssen wir uns vielmehr fragen, wer wir als Deutschland sind und sein wollen. Woran wir uns erinnern, prägt nämlich unser kollektives Gedächtnis, welches wir mithilfe von memorialen Zeichen und Symbolen, Texten und Bildern und solchen Gedenktagen wie heute bewusst schaffen, ja, konstruieren. Was wir gedenken, sagt so ein Stück weit aus, wie wir uns sehen und wer wir sind, was ein weiteres Mal anhängig ist von der Zeit, in der wir leben. Heutzutage befinden wir uns beispielsweise in einer transnationalen Epoche und müssen verstehen, dass wir Geschichte auch im internationalen Kontext betrachten müssen und nicht mehr unser eigenes Süppchen der Vergangenheit kochen können.
Aber warum und wann ist Geschichte für uns wichtig? Es scheint, dass in Zeiten von Unsicherheit, wenn es zu Umbrüchen und Krisen kommt, wir uns immer wieder an die Vergangenheit wenden, die uns Orientierung geben soll und uns in Parallelen aufzeigen kann, was bisher geklappt hat und was man lieber sein lassen sollte. Und auch heute brauchen wir diese Orientierung, denn, zugegeben, verunsichern Bürgerkriege, Menschenrechtsverletzungen, politisch oder religiös motivierte Attentate, Naturkatastrophen und eine globale Pandemie meine Generation und Ihre wahrscheinlich auch.
So geht es Ihnen heute vielleicht auch wie mir. Ich sehe mich fast schon machtlos vor der Vergangenheit, vor ihren Völkermorden, ihren Kriegserklärungen, vor Zwangsrekrutierungen, Vergewaltigungen und vielen anderen Grausamkeiten und ich empfinde tiefstes Mitgefühl für die Opfer und Leidtragenden.
Tage wie heute sind aber nicht nur für die Opfer und Verstorbenen, sondern auch für die Überlebenden und Lebenden.
Auch wenn unsere Welt noch nicht perfekt ist, oder genau, weil sie es nicht ist, sollten wir diesen Tag nutzen, um den Opfern zu gedenken, den Entbehrungen Respekt zu zollen und unseren Schmerz zu lindern. Aber auch um Hoffnung daraus zu schöpfen, dass wir die Zukunft in unserer Hand haben. An diesem Tag sollen wir uns für eine bessere Zukunft entscheiden, ohne die Vergangenheit zu vergessen.
Und so würde ich Sie schon gerne mit einem letzten Gedanken verlassen: Frieden ist nicht zwangsläufig die Abwesenheit von Krieg. Es geht bei Frieden um viel mehr, auch wenn es auf den ersten Blick viel kleiner erscheint. Es geht um geschwisterliche Beziehungen zwischen verschieden Nationen, um Harmonie im eigenen Land, um gegenseitigen Respekt und Toleranz innerhalb einer Gesellschaft, um Akzeptanz und Inklusion in einer Gemeinde, um ein bisschen Offenheit und Empathie im Alltag gegenüber seinen Mitmenschen. Das fordert Frieden. Und wie Sie vielleicht bereits gemerkt haben, tragen wir alle – ich, Sie, der Tankwart, der Politiker, die Kassiererin – hier eine aktive Rolle. Sie und ihre Haltung und ihr Handeln sind der Schlüssel zum Frieden, denn uns ist nicht nur bewusst, wozu Menschen damals in der Lage waren, sondern auch, dass der Mensch es theoretisch auch noch heute ist. Also entscheiden wir uns für ein friedliches und respektvolles Miteinander, damit sich die Vergangenheit nicht wiederholt!
8) Fürbittegebet
Weltweit 21 Kriege, mehr als 20 sogenannte begrenzte Konflikte und mehr als 200 mit Gewalt verbundene Konflikte hat das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung für das Jahr 2020 „gezählt“.
Am Ende bleibt auch ein Stück Ratlosigkeit und Schweigen, warum wir Menschen es so oft nicht schaffen, friedlich miteinander umzugehen.
Alle Religionen wissen davon, dass man mit seinem Nächsten so umgehen soll, wie man selber behandelt werden will.
Ich lade Sie ein, mit mir Fürbitte zu halten:
Du bist ein Gott des Friedens und der Versöhnung,
der das Leben für alle Menschen will.
Wir gedenken vor dir
An alle Menschen, die in den Kriegen der Vergangenheit ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Heimat, ihre Eltern, Kinder, Partner, Geschwister, Freunde verloren haben: heile die Verletzungen der Überlebenden.
Für alle Menschen, die unter den Kriegen der Gegenwart oder unter Gewalt, Verfolgung und Unterdrückung leiden: Sei Du ihnen nahe in all ihrer Verzweiflung und Angst und schütze sie.
Für uns, die wir in Frieden leben: Schenke uns offene Augen und Ohren, vor allem aber ein offenes Herz für alle, denen dieses nicht vergönnt ist, und lass uns nicht müde werden, uns Tag für Tag auch in unserem Alltag für den Frieden stark zu machen.
Für alle, die Hass und Vorbehalte zwischen den Menschen befeuern und instrumentalisieren: Schicke ihnen Deinen Geist, damit auch sie sich dem Frieden zuwenden.
Gott, mit unserer Sehnsucht nach Frieden,
aber auch mit unserer Schwäche, ihn ganz zu leben, stehen wir vor Dir. Du willst Leben und Frieden für alle Menschen heute und alle Tage unseres Lebens. Amen.