Trotz tropischer Hitze haben viele den Weg zur Theateraufführung der Oberstufe in die Aula des Erasmus-Widmann-Gymnasiums gefunden und sind sicher nicht enttäuscht worden.
In diesem Jahr stand das Kunstmärchen „Der kleine Prinz“ nach der Buchvorlage von Antoine de Saint-Exupéry auf dem Programm unter der Leitung von Barbara Mühlen. Dass hier ein Klassiker in neuem Gewand gespielt wird, deutete sich dem Publikum schon beim Betreten der Aula an durch die fischgrätenartige Bestuhlung mit der in den Publikumsraum verlängerten Bühne. Das Arrangement machte ebenso neugierig wie die für dieses Stück ungewöhnliche Besetzung mit zwei Schauspielern und einer Schauspielerin.
Zu Beginn sitzen die drei Akteure – Leon Pardon, Jonas Rieder und Nele Rößler –, alle ähnlich schwarz gekleidet mit einem gelborangefarbenen Halstuch, am Bühnenrand und simulieren ein Cockpit und den Absturz ihrer Maschine. Dann öffnet sich der Vorhang der Bühne und Wrackteile eines Flugzeugs liegen verstreut herum. Aus der Ohnmacht erwacht, irren die „drei Piloten“ zwischen den Teilen herum und müssen sich in ihrer neuen Lage orientieren. Dem Zuschauer, der die Buchvorlage kennt, musste sich hier die Frage stellen, wer denn eigentlich der kleine Prinz sein sollte? Der Schlüssel zum Verständnis lag in einem ebenso einfachen wie wirkungsvollen Trick: Das An- und Ablegen der Halstücher diente für den gesamten Verlauf des Stückes als Erkennungszeichen der Hauptrolle. So war es den Schauspielern möglich, ständig in wechselnde Rollen zu schlüpfen, niemals die Bühne verlassen zu müssen und sogar Aktübergänge zu schaffen, wenn alle drei sich zum Abschluss einer Szene mit Halstuch zu einer Person kurzzeitig vereinigten. Die Reise des kleinen Prinzen von seinem kleinen Asteroiden mit den drei Vulkanen und der Rose, um die er sich so rührend kümmerte, über andere Planeten, auf denen er so seltsame Menschen mit merkwürdigen Eigenschaften kennenlernte, bis zur Ankunft auf der Erde, die „einen guten Ruf hat“, wurde auf diese Weise nie unterbrochen.
Die sonderbaren Gestalten, denen der kleine Prinz auf seiner Suche nach Freundschaft und Menschlichkeit begegnet, wie dem König (Nele Rößler), der über ein fiktives Reich regiert, den Trinkern (Leon Pardon und Nele Rößler), die trinken, um ihre Trunksucht zu vergessen, oder dem pflichtbewussten Laternenanzünder (Jonas Rieder), der mit der Taschenlampe unter dem Kinn Tag und Nacht in einem fort begrüßt, symbolisieren wunderbar die Sinnlosigkeit menschlichen Tuns. Erst in der Begegnung mit einem Fuchs (Jonas Rieder) erfährt der kleine Prinz (hier Nele Rößler) das Geheimnis, nach dem er im Grunde gesucht hat: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“. Und: „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast“. Diese Erkenntnis zieht ihn zu seiner geliebten Rose zurück. Und so endet alles, wie es begonnen hat, bei der Absturzstelle des Flugzeuges in der Wüste – dem Bühnenbild (von Hedwig Maier und der Theater-AG gestaltet), das den Hintergrund der Handlung bildet. Nach einer dramatischen Abschiedsszene lässt sich der kleine Prinz von der Schlange beißen, die ihm in einer ersten Begegnung auf der Erde mit einem tödlichen Biss die Rückkehr zu seinem Asteroiden verheißen hat.
Die Dauerpräsenz auf der Bühne bei einer Spielzeit von ca. 75 Minuten, die große Textmenge und der ständige Wechsel zwischen unterschiedlichen Rollen haben den Schauspielern alles abverlangt. Und sie haben es mit Bravour gemeistert. Ohne Effekthascherei ist es Barbara Mühlen gelungen, gekonntes Sprechtheater auf die Bühne zu bringen und den „kleinen Prinzen“ nicht als Kinderbuch, sondern Erwachsenenlektüre mit Tiefgang zu präsentieren.
Klaus Hirschmann